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Experte Detlef Scheer im Interview

Als Experte für Hochbegabte im Bereich Diagnostik, Coaching oder im Führungskräftetraining hat er jahrelange Erfahrungen vorzuweisen. Heute nehmen wir Herrn Scheer aber mal privat ins Gespräch - wer ist der Mensch hinter der Expertise?



Experte Detlef Scheer im Interview
Foto: Detlef Scheer

Welchen Beruf haben sich Deine Eltern für Dich vorgestellt?

Da haben Sie sich vornehm zurückgehalten, das sollte ich selbst entscheiden, und ich hatte mich längst vor dem Abi entschieden Cellist zu werden, ab der 10. Klasse habe ich parallel am Konservatorium die Privatmusiklehrer-Ausbildung gemacht, bis ich mir die linke Hand irreparabel verletzt hatte, dann hat es für einen guten Cellisten nicht mehr gereicht und ich musste etwas anderes ins Auge fassen, hat dann etwas gedauert: erst Zivildienst, dann Groß- und Außenhandel (Ausbildung) und schließlich Diplom-Psychologe (Uni Kiel).



Wenn Du eine berühmte Persönlichkeit – egal ob lebendig oder tot – treffen dürftest: Wer wäre es und warum?

Schwierige Frage, aber ich könnte mir ein interessantes Gespräch mit Simone de Beauvoir oder Benoîte Groult vorstellen. Und mit Pablo Casals zum Beispiel oder John Lee Hooker. Ansonsten ist für mich Berühmtheit an sich kein Reiz.


Warum hast Du Dir ausgerechnet das Thema Hochbegabung herausgesucht? Was treibt Dich hier besonders an?

Weil ich selbst ein relativ spät- und zufällig entdeckter HB bin (im Studium bei „Testtheorie und Testpraxis“) und danach nach weiteren fast 20 Jahren Dasein als Führungskräftetrainer und -coach und meinem Eintritt bei Mensa nach einem nochmaligen Test festgestellt habe, dass das Coaching von Hochbegabten aus verschiedenen Gründen eine echte Herausforderung darstellt, die an sich für mich sehr befriedigend sein kann. Offenbar habe ich damit auch Erfolg, und es macht mir „Spaß“ (also es befriedigt mich).


Mit welchem Vorurteil siehst Du Dich thematisch noch immer am häufigsten konfrontiert?

Die Gruppe von ungerechtfertigten Kombinationen von Zuschreibungen jeder Art: Hochbegabte sind Autisten, Autisten sind hochbegabt, Hochbegabte sind ADHS´ler, hochsensibel oder hochsensitiv, Hochsensitive sind ADHS´ler und hochbegabt, ADHS´sler sind hochbegabt und hochsensibel usw. usw. Abgesehen davon sind Hochbegabte bekanntlich arrogant und besserwisserisch und Normalbegabte strengen sich nicht genug an, blockieren vor lauter Neid und Missgunst jede Art der vernünftigen Zusammenarbeit. Also: Alle Sorten von Schubladen werden mir geboten und für mich ist es ein Erfolg, einige davon, am liebsten natürlich alle, aufzulösen.


Welche war die beste Entscheidung in Deiner beruflichen Laufbahn?

Die beste Entscheidung war, mich vor allem zu Anfang mehrfach neu zu entscheiden für eine berufliche Richtung und mich dann schließlich selbständig zu machen. Aber im Grunde ist es die Entscheidung sich neu entscheiden zu können, wenn es angesagt ist. Entscheidungen sind eine ganz, ganz spannende Sache, denn die deutsche Sprache ist verräterisch: Ent-Scheidung hat was mit neuen Wegen zu tun. Und mit Trennung. Man kann aber keine falschen treffen und man kann „falsche“ auch nicht wieder gut machen. Man kann aber eine nach der anderen, also immer neue treffen, und sich oder etwas anderes so optimieren.


Was macht Dir am meisten Freude an Deinem Beruf?

Mir macht an meinem Beruf vieles viel Freude. Eine wichtige Quelle von Zufriedenheit ist allerdings immer wieder, dazu beitragen zu können, dass Menschen mehr Eigenregie entwickeln und sich von Fremdsteuerung teilweise befreien können. Und wenn ich dann manchmal mitbekomme, was in Folge eines Coachings alles passiert, dann stellen sich Momente des Glücks ein.


Was frustriert Dich hingegen hin und wieder?

Dass das Impostor-Syndrom bei vielen hochbegabten Frauen, wie sowieso bei Frauen, immer noch so dermaßen oft fröhliche Urständ feiert („hoffentlich merkt keiner, dass ich eigentlich gar nichts kann…!“ ). Natürlich gibt es dann auch bei Männern, aber seltener und nicht so ausgeprägt.


Wenn Du nun für uns ein wenig pauschalisieren müsstest: hast Du so etwas wie eine „Kernblockade“ bei hochbegabten Erwachsenen erkannt?

Auch wenn ich das müsste, könnte ich das nicht. Hochbegabte sind vollkommen normal wie alle anderen auch. Nur sie denken schneller, denken komplexer, haben viel mehr Assoziationen, oft ein unschlagbares Arbeitsgedächtnis. Dadurch kommen alle erdenklichen Konfliktquellen zustande, wenn es um den Rest der Welt geht oder die eigene Perspektive darauf. Das ist aber keinesfalls die Schuld von irgendjemandem, schon gar nicht von den Nichthochbegabten, sondern eher eine Frage, wie man trotzdem zu einem befriedigenden Zusammenleben kommt. Beruflich oder privat. Ganz oft investieren hochbegabte Frauen und Männer vermutlich aus langjährig angehäuftem Frust hier viel zu wenig Energie. Und daraus entsteht dann oft eine Blockade, die jede Art der Zusammenarbeit erschwert.


Und hast Du hierfür einen ultimativen Rat?

Mehr gegenseitigen Respekt entwickeln und nicht alles, was andere sagen, auf sich selbst beziehen, ist oft schon die halbe Miete. Ansonsten gibt es da wohl nur individuell zu entwickelnde Wege. Ultimative Ratschläge haben wie Rezepte einen gravierenden Nachteil: Sie passen vielleicht für den Ratgeber, aber nicht unbedingt zum Ratsuchenden. Deswegen sind Ratschläge oft vor allem Schläge und eher ein Kunstfehler ersten Grades statt irgendwie hilfreich. Das Kunststück ist und bleibt: Von sich oder von einer schlecht durchdachten „Theorie“ nicht auf andere zu schließen. Das gilt sowieso für jeden, aber in der Beratung, in Therapie und Coaching natürlich eher mehr. Trotzdem und gerade deswegen ist die fundierte Auseinandersetzung mit Theorien wichtig, vor allem mit Erkenntnistheorie.


Unsere Community würde sich eine lustige Anekdote aus Deinem Berufsalltag wünschen. Kannst Du diesen Wunsch erfüllen?

Na klar:


Zeichnung von Detlef Scheer
Zeichnung von Detlef Scheer

Was sind Deine Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf Hochbegabten-Förderung?

Sorge, dass es noch lange dauern wird, bis die Hoffnung greift, dass solche „Maßnahmen“ den Nimbus der Behinderten-Förderung verlieren, genau wie bei den sogenannten „Behinderten“.


Wie unterstützt Du diese Hoffnungen durch Deine Arbeit?

Ich versuche im Coaching dazu beizutragen, dass meine Kunden pragmatische Strategien entwickeln, mit ihrer jeweiligen Umwelt leichter umgehen zu können. Da helfen mir meinen verschiedenen Erfahrungen in meinem Leben, die ich mir immer wieder gerne bewusst mache: Als Schüler, als Cellist mit Konzerterfahrung und großen Hoffnungen, der ich mal war, als Im- und Exportkaufmann, als Zivildienstleistender in einer Jugendherberge, als Tellerwäscher in einem Ausflugslokal, als Bauarbeiter zu Schülerzeiten und im Studium als Lagerarbeiter, viele Jahre lang in den Ferien auch mal in einer Abrisskolonne), als Fabrikarbeiter oder als Student mit einer Forschungsarbeit beschäftigt oder Praktikant in ganz unterschiedlichen Institutionen. Und schließlich im Studium in der Beratung von Hochleistungssportlern und Managern nach entsprechender Beschäftigung mit Erkenntnistheorie, vor allem dem „Radikalen Konstruktivismus“ gemeinsam mit der systemischen Beratergruppe Kiel. Überall habe ich wertvolle Menschen kennengelernt und wertvolle Erfahrungen gesammelt, die mir immer noch helfen, jeden Menschen als Individuum zu sehen und nicht als Vertreter einer Gruppe oder einer Diagnose.


Ein paar ganz persönliche Fragen, wenn Du gestattest: Welche Werte sind Dir besonders wichtig?

Respekt

Respekt anderen gegenüber hilft die eigene Persönlichkeit unter maximaler Eigenregie zu entwickeln.


Auf welche Frage hattest Du in letzter Zeit keine Antwort und hast Du sie finden können?

Bevor ich diese Frage anfange zu beantworten, schicke ich meine Antworten auf Eure Fragen lieber ab. Denn im Januar 2044 interessiert das vielleicht niemanden mehr.


Vielen Dank lieber Detlef!

Bitte, gern geschehen, liebe Nicole!

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